Romantikthriller von Eva B. Gardener - Diäten und Diamanten, Lebenshunger, Drogen, Geld und kalte Füße - Taschenbücher und E-Books

 

Diäten u. Diamanten

Lebenshunger

Drogen, Geld..

Die Autorin

Sonstiges

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Romantikthriller

von Eva B. Gardener

Romantikthriller von Eva B. Gardener
Traumfigur

Inhalt   Auszüge   Umfang und Zielgruppe

Drogen, Geld und kalte Füße
Krimi zwischen Bayern und Hawaii

Drogen, Geld und kalte Füße (der Arbeitstitel war Hawaii-Diät, die erste Ausgabe hieß Traumfigur) ist nach Diäten und Diamanten und Lebenshunger der dritte Roman der Jana-und-Jay-Romantikthriller-Reihe (Krimispannung, Liebe, schlanke Rezepte). Eine Liebesgeschichte und eine Krimihandlung sind miteinander verworben und zur Charakterisierung der Hauptperson Jana mit schlanken Rezepten gespickt.

Die Hauptfiguren stammen überwiegend aus Oberbayern (Freising, Erding, Rosenheim und  München), doch dieser Roman führt sie und den Leser nicht nur an den winterlich verschneiten Chiemsee, sondern auch an exotische Schauplätze: auf die Bahamas, an Kaliforniens wilde Big Sur-Küste und nach Hawaii, wo gerade die Surfsaison losgeht.

DROGEN, GELD UNS KALTE FÜSSE - Krimi-Spannung, Liebe und schlanke Rezepte - Werbelink zu Amazon.deDrogen, Geld und kalte Füße: Romantikthriller*
Eva B. Gardener
BoD, Norderstedt 2015
ISBN 978-3-7392-1131-2
Taschenbuch, 232 Seiten, 11,90 Euro (D), auch als E-Book
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Engagierter Anti-Drogenkrimi gewürzt mit Krimispannung, Liebe und schlanken Rezepten. Die Handlung führt den Leser diesmal rund um die Welt: Bahamas, Hawaii, Big Sur und natürlich Freising, Rosenheim und Chiemgau.

“Drogen, Geld und kalte Füße” ist eine überarbeitete Neuauflage von “Traumfigur” (erschienen 2008).

Inhalt

Dezember 1995. Jana (Diana Reissig, Hobbygärtnerberaterin aus Freising) hat kalte Füße bekommen und Jay (Jürgen Bergmeister, Kriminalkommissar aus Erding) vor dem Standesamt stehen lassen. Sie flieht nach Hawaii, doch ihr Flugzeug stürzt kurz vor der Landung ins Meer. Jana überlebt und wird von ein paar zugedröhnten Aussteigern aufgefischt, denen sie bald hilflos ausgeliefert ist, da sie ihr Gedächtnis verloren hat.
Während Jana in Hawaii versucht, zu überleben und ihre Erinnerung wiederzufinden, versucht Jay damit fertig zu werden, dass er verlassen wurde, denn er weiß noch nicht, dass Jana in der abgestürzten Maschine war. Um ihn von seiner Trauer abzulenken, zieht ihn sein Freund und Kollege Melzer (Kripo Rosenheim) zu seinen Ermittlungen zu einem Dealermord hinzu. Sie kommen einem internationalen Drogenring auf die Spur, der ein neues Geschäft aufbauen will: Crack. Als Zielgruppe haben die Dealer Schulkinder und Jugendliche im Visier. Die ersten Kinder sterben. Die Ermittlungen führen Jay und Melzer bis nach Hawaii ...
 

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Auszüge

Prolog   Kapitel 1   Kapitel 2
Der Sonnenuntergang über dem Meer vor Kamalame begann goldfarben, festlich gewandet wie eine schöne Frau in einem schillernden Abendkleid. Jeder, der sie sah, hielt den Atem an, bewunderte, wie sie tanzte, wie sie funkelte, und alle, die sie kannten, wussten, gleich würde sie sich in Feuer und Glut verwandeln; und sie warteten darauf, dass sie immer wilder und leidenschaftlicher wurde, bis sie schließlich den Kampf gegen die Nacht verlor und diese sie verschlang.
'It's better in the Bahamas'. Das stand auf jedem zweiten Touristen-T-Shirt und die Touristen, die heute irgendwo auf den über 700 Bahamainseln dem Sonnenuntergang zusahen, würden dem zustimmen.
'It's better in the Bahamas' stand auch auf den T-Shirts der zwei Männer, die am Strand von Kamalame standen. Zwei weitere Männer, auch mit Bahama-T-Shirts, hielten sich links und rechts der Veranda zwischen Palmen und Hibiskussträuchern verborgen. Dass diese Männer keine Touristen waren, hätte ein zufälliger Passant daran erkannt, dass sie im weißen Pudersand polierte, schwarze Schuhe, dunkle Hosen und ihre Waffen im Schulterhalfter trugen. Doch am Strand dieses privaten Eilands gab es keine zufälligen Passanten und keine Touristen, und die Männer hatten auch kein Interesse am Sonnenuntergang. Sie taten ihre Arbeit, nämlich das Meer und den Himmel im Auge behalten. Sie waren bereit, ihre Auftraggeber mit ihrem Leben zu schützen – nicht weil ihre Auftraggeber es wert waren, sondern weil man sie dafür bezahlte.
Der kleine Rollschwanzleguan, der vorne im Sand die letzte Abendsonne genossen hatte, blinzelte und machte sich auf den Weg zu seinem Nachtquartier. Und auch der Pelikan, der sich vor einer Stunde auf einem Holzpflock am Strand niedergelassen hatte, gab auf und flog im dahinscheidenden Licht davon – hier würde heute niemand mehr angeln, also fielen auch keine Fische für ihn ab.
Die beiden Männer, die auf der Veranda der 10-Millionen-Dollar-Villa saßen und über die Zusammenführung ihrer Geschäfte sprachen, waren sich der paradiesischen, tropischen Kulisse um sie herum durchaus bewusst. Sie sahen sich selbst in diesem Bild und es gefiel ihnen, was sie sahen: Sie, die Führer zweier Drogenimperien, die über Leben und Tod entscheiden konnten, entspannten sich bei einem Glas besten schottischen Highland-Whiskys, denn zur Feier des Tages hatten sie sich eine Flasche Balvenie Cask 191 Rare einfliegen lassen.
"Mit anderen Worten, unsere Fusion nimmt wie geplant ihren Lauf", sagte Jack R. Turner. Der Mann, der den Kokainmarkt der amerikanischen Ostküste beherrschte und der seine Geschäfte gerade nach Europa ausdehnte, schwenkte sein Glas sanft im Kreis und beobachtete die langsam rotierende Bewegung der kostbaren Flüssigkeit. "Die neue Organisation wird straffer, effektiver und spart Personal auf den teuren Ebenen."
"Ja. Die unbrauchbar gewordenen Teile sind abgesprengt", ergänzte Diego Alvarez, der den Markt der amerikanischen Westküste und einen Großteil Asiens in der Hand hatte, und führte sein Glas an die Nase. Mit geschlossenen Augen wartete er auf den Duft von Toffee, Marzipan, Eiche und Rosinen. Dann nahm er einen kleinen Schluck.  
Auch Turner nippte an seinem Whisky und ließ die Flüssigkeit weich über die Zunge rollen, bevor er sie langsam die Kehle hinabrinnen ließ.
"Was ist mit dieser Schlüsselposition in Deutschland für den mittel- und nordeuropäischen Markt?", fragte er, als er sich schließlich von dem Nachhall des Whiskys lösen konnte.
"Die Stelle wurde neu besetzt. Der vorherige Mann taugte nichts. Zu viele Kokain-Lines wanderten durch seine eigene Nase." Alvarez verschwendete keinen sentimentalen Gedanken an Harald Blend, mit dem er seine ersten Geschäfte gemacht hatte, als er die Firma von seinem Vater übernahm, und den er jetzt hatte liquidieren lassen.
Turner nickte. "Drogensüchtige sind nur gut zum Ausnehmen, aber ansonsten unzuverlässig und fürs Geschäft unbrauchbar. Gut, dass das Problem gelöst ist. Jetzt müssen wir also nur noch deinen Verbindungsmann für Asien austauschen. Mein Mann steht in den Startlöchern."
"Keine Sorge, spätestens übermorgen kann er seinen Job in Honolulu antreten. Dann wird Rosenberg, unser Noch-Verbindungsmann den Platz geräumt haben."
"Freiwillig?"
"Nicht wirklich. Rosenberg ist nach außen hin ein erfolgreicher Hotelbesitzer, er hat Hotels in Waikiki, zum Beispiel das 'Hawaiian Beach Pearl", und in Hongkong auch ein paar, ich hab die Namen vergessen.
"Nach außen hin?", fragte Turner.
"In Wirklichkeit gehen seine Hotelgeschäfte schlecht, deshalb war er damals leicht anzuwerben. Für uns war er nützlich, weil bei ihm häufige Reisen nach Asien unverdächtig waren."
"Verstehe. Ihr hattet ihn finanziell in der Hand."
"Ja, Rosenberg macht gerne einen auf dicke Hose. Und so wird er auch morgen der Stadt Honolulu eine Skulptur schenken, die er in Los Angeles anfertigen lassen hat und die er per Flugzeug einfliegen lässt. Das Übergabebrimborium ist für 13 Uhr geplant."
"Solch großzügige Geschenke wird er sich wohl bald nicht mehr leisten können", sagte Turner trocken.
"Ich fürchte, die Stadt wird schon von diesem Geschenk nicht viel haben. In der Skulptur ist ein Sprengsatz, der sie um 13.05 Uhr samt Rosenberg in die Luft jagen wird."
"Aber wird ein so auffälliger Abgang nicht das FBI auf den Plan rufen?"
"Darauf hoffe ich. Nicht nur das FBI, sondern auch CIA, USNCB und alle möglichen anderen. Alle außer der Drogenfahndung, denn eine palästinensische Extremistengruppe wird sich zu dem Anschlag bekennen."
"Verstehe. Es soll nach "Kampf dem Zionismus" aussehen."
"Genau. Und letztendlich wird es für weniger Aufregung bei der Polizei in Hawaii sorgen, als wenn er pleitegehen würde, womöglich im Gefängnis landete und dann seine Geschichte an irgendwen verkauft."
Turner nickte. "Ja, besser, er verschwindet ganz schnell komplett von der Bildfläche."
Die Männer hoben die Gläser. Ein leises Klimpern und Stimmen aus dem luxuriös ausgestatteten Salon hinter ihnen veranlasste sie, sich umzudrehen. Sanfte, karibische Klänge waberten von dort zu ihnen nach draußen.
Der Portier, der die Musik angestellt hatte, schob nun die zwei jungen, schwarzen Frauen, die er für heute Nacht besorgt hatte, nach draußen. Die beiden zeigten artig ihre weißen Zähne, sie hatten runde, freundliche Gesichter und hübsche Titten, wie die gehäkelten Bikini-Oberteile nicht nur erahnen ließen.
"Ah, Leila und Cynthia", sagte Alvarez. "Da seid ihr ja. Tanzt doch ein bisschen für uns."
Die jungen Frauen waren froh, erstmal nur mit Tanzen beschäftigt zu sein, bevor diese Rattengesichter anfingen, sie zu begrapschen und ihre goldberingten Finger in ihre privaten Körperöffnungen zu schieben. So ließen sie ihre prallen Hintern unter den bunten Miniröcken wippen und bewegten sich im Takt um den Tisch herum, immer ein wenig außer Reichweite. Währenddessen hofften sie, die Männer würden von dem Whisky viel und schnell trinken, damit dieser Abend bald vorbei wäre.


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Kapitel I
Plötzlich war da kein Motorengeräusch mehr. Die Maschine sackte schwer weg, fing sich dann aber wieder und auch das aggressive Kreischen des Landeanflugs war schlagartig wieder da.
Janas Hände umklammerten die Armlehne so fest, dass die Handknöchel weiß hervortraten. Das Flugzeug legte sich in eine Kurve und plötzlich fiel blendend weißes Sonnenlicht durch das Fenster auf ihre Netzhaut. Es war, als ob ein Schleier von ihrem Gesicht gerissen wurde. Sie sollte nicht hier sein, schoss es ihr durch den Kopf. Sie sollte …
Der Kapitän ließ das Flugzeug weiter absacken, das grelle Licht war wieder weg und Janas Gedanken wurden davon unterbrochen, dass sich ihr Mageninhalt bis zur Kinnunterkante hob. Mit Mühe unterdrückte sie den Brechreiz. Landen und Starten gehörten nicht zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.
Als das Flugzeug wieder ruhiger und parallel zur Wasseroberfläche flog, atmete sie tief durch, bis sich ihr Mittagessen wieder dahin sortiert hatte, wo es hingehörte.
Es war nicht richtig, dass sie in dieser Maschine saß, schüttelte Jana den Kopf und lockerte den Griff um die Armlehne etwas. Und das dachte sie nicht, weil sie nach 18 Flugstunden innerhalb von zwei Tagen immer noch kein bisschen Vertrauen in die Flugzeugtechnik entwickelt hatte, sondern weil sich das Flugzeug, in dem sie saß, im Landeanflug auf Honolulu befand.
Sie sollte nicht hier sein.
Ihre Flugangst hatte Jana, die eigentlich Diana Reissig hieß, noch nie daran gehindert, um die halbe Erde zu reisen. Das Ziel, das sie erreichen wollte, hatte sie immer wieder dazu getrieben, sich trotz Angst in eine dieser lackierten Metallkisten mit bewegungslosen Flügeln zu setzen. Aber diesmal war es nicht das Ziel gewesen, das sie anzog, diesmal war es ihr darum gegangen, so schnell es ging eine möglichst große Entfernung zwischen sich und ihrem Zuhause in Bayern zu bringen – 7610 Flugmeilen, um genau zu sein, zwischen sie und Jay.
Sie sollte nicht hier sein.
Sie hatte etwas Furchtbares und furchtbar Dummes getan, das wurde ihr jetzt bewusst, etwas, was niemand verstehen würde – niemand außer vielleicht Jay. Nein. Das würde auch er nicht verstehen – sie verstand sich ja selbst nicht mehr.
Jana sah auf ihre Armbanduhr, sie hatte sie bereits umgestellt, es war 10.30 Uhr Honolulu Ortszeit - 11 Stunden früher als in Deutschland. Sie musste Jay anrufen, sie musste ein Lebenszeichen geben, musste sich entschuldigen – sie war durchgedreht, hatte überreagiert … Um Verzeihung bitten, konnte sie ihn nicht, es war unverzeihlich, was sie getan hatte.
Wieder sah sie auf die Uhr. 10.32 Uhr. Bald würden sie landen, sagte sie sich, und das Erste, was sie tun würde, wäre eine Telefonzelle zu suchen. Doch der Blick aus dem Fenster neben ihr zeigte wie seit Stunden nur das unendliche Blau von Himmel und Pazifischem Ozean.
Sie nahm die Papierserviette von ihrem Tablett mit den Plastiküberresten einer Flugzeugmahlzeit und zerknüllte sie ungeduldig in ihrer Hand. Sie beugte sich vor und versuchte an ihrer Sitznachbarin vorbei aus dem Fenster auf der anderen Seite der Kabine zu schauen. Aber das Flugzeug legte sich erneut in eine Kurve und ihr Busen in die Reste der Sahnesoße.
Mist, dachte Jana mit Blick auf den verschmierten, rosafarbenen Seidenstoff, der an ihrem Busen klebte.
Sie zog den Stoff von ihrer Brust weg, um den Fleck besser begutachten zu können. Dann ließ sie ihn zurückfallen und zuckte mit den Schultern: Was spielte es jetzt noch für eine Rolle, wie sie aussah, jetzt, wo sie Jay… Sie konnte den Gedanken nicht bis zu Ende denken.
Sie verdiente es, beschissen auszusehen, nach dem, was sie ihm angetan hatte. Das hatte sie schon heute Morgen vor dem Spiegel gedacht. Sie hatte erst gar nicht versucht, die verheulten Augen wegzuschminken und sogar auf ihre geliebten großen Ohrringe hatte sie verzichtet - obwohl sie sich zu dem Zeitpunkt noch eingeredet hatte, sie hätte für alle Beteiligten das Beste getan, auch wenn es schmerzte. Jetzt wusste sie, dass das, was sie getan hatte, der Fehler ihres Leben war.
Jay. Wie sie ihn jetzt schon vermisste. Eigentlich hieß er ja Jürgen, aber irgendein Amerikaner, den er vom Segeln her kannte, hatte ihn Jay genannt, weil er Jürgen nicht aussprechen konnte, und der Name war ihm geblieben. Jay war eigentlich Kriminalhauptkommissar Jürgen Bergmeister und arbeitete bei der Kriminalpolizei in Erding.
Sie liebte Jay, weil er einer war, der den Dingen auf den Grund ging, und weil sein innerstes Anliegen der Schutz der Gemeinschaft war - deswegen war er Polizist geworden. Und sie begehrte Jay wegen der kindlichen Freude und Verletzlichkeit, die aus seinen dunklen Augen schien, wann immer er sie ansah.
Ja, manchmal hätte sie am liebsten den ganzen Tag nichts anderes getan, als ihn anzusehen oder ihre Hände über seine bartschattendunklen Wangenknochen, über das Kinn und über seinen Körper wandern zu lassen. Allein der Gedanke an das Gefühl dieser Haut unter ihren Händen - die glatten und die stoppeligen Stellen und die flaumigen Flächen – ließen ihr Schauer über den Rücken laufen. Schnell schüttelte sie die Erinnerung ab: Wie willst du das durchstehen, Jana, wenn du dich solchen Erinnerungen hingibst, ermahnte sie sich. Du hast den Fehler begangen und nun musst du dafür bezahlen.
„Honolulu“, sagte sie laut, als endlich die vertraute Skyline vor dem Fenster auftauchte. Und die gelbliche Schmiere versuchte sie dann doch mit dem ungebrauchten Zipfel der Papierserviette wegzureiben.
Es war schon das vierte Mal, dass Jana hier auf Oahu, der Hauptinsel der hawaiianischen Inselgruppe, landete. Und wenn sie es recht bedachte, war Hawaii jedes Mal auch das Ende einer Flucht gewesen. Einmal war sie vor der Leere des Alltags und einem langweiligen Job geflohen, zweimal vor Liebeskummer, und diesmal … was eigentlich?
"Gleich haben wir es geschafft", sagte sie und strich sich eine honigblonde Strähne aus dem Gesicht. Aber ihre amerikanische Sitznachbarin antwortete nicht, sie war den Margaritas aus ihrer mitgebrachten Plastikflasche erlegen und eingeschlafen. Ihr Kopf war schwer zur Seite gesunken und ihre hellblonden, langen Haare ergossen sich über ihre Schultern und den grauen Sitzbezug.   
Auch gut, dachte Jana, denn Jenny, die eigentlich Jennifer White hieß, hatte sie in den ersten Stunden nach dem Start in Los Angeles mit einem Wortschwall nach dem anderen übergossen – weswegen ihr Jana aber dankbar gewesen war, denn so hatte sie die Stimmen aus ihrem Kopf zurückdrängen können.
Jenny war ihr schon beim Einchecken zur letzten Flugetappe aufgefallen - wahrscheinlich nicht nur ihr, denn es gab wenige Passagiere, die den Flughafen in kurzen Lederhosen und mit Kopfhörern, die mit rosa Plüschhasenohren verziert waren, betraten. Und zufällig war sie dann ihre Sitznachbarin geworden.
Jenny hatte ihren Job als Sekretärin in einer kleinen, schmierigen Detektei in Hollywood aufgegeben, hatte Jana einem ihrer Ergüsse in amerikanischem Slang entnommen. "Ich hab genug von all diesen Scheidungskriegen und von den fettigen Fingern meines Chefs auf meinem Arsch", hatte sie gesagt und dabei wild gestikuliert. Außerdem hatte sie im letzten Jahr drei Verlobte verschlissen, die sich allesamt als Nieten oder Schmarotzer entpuppt hatten. Als der letzte – ein Künstler - sich von ihr 1.000 Dollar für seinen Kokskonsum leihen wollte, hatte ihr das den Rest gegeben.
"Wofür brauche ich schon so einen verdammten Versager", hatte sie am Ende gelallt, die Zunge von den Margaritas gelähmt. "Hawaii, das ist das Paradies. Da werde ich glücklich sein. Ohne Mann."
Jana hatte nichts dazu gesagt, sondern sich tiefer in ihr aufblasbares Nackenkissen gedrückt, das ihr ihre Busenfreundin Juli mal geschenkt hatte. In Hawaii glücklich zu sein, damit rechnete sie nicht. Sie hatte nur unbedingt weg gemusst von dieser Beklemmung und Angst, die übermächtig in ihr gewachsen war während der letzten Tage zu Hause in Freising.
Ganz Oberbayern, von den Alpen im Süden bis über Freising im Norden von München hinaus, war fest im Griff trüber Novembertage gewesen. Das Blauweiß des Himmels hatte sich hinter dicken, dunklen Wolken versteckt und statt Schnee hatte es nur Nebel und Regen gegeben. Solange Jana in der Arbeit war und Hobbygärtner zu ihren Pflanzen beriet, hatte sie sich ganz gut gefühlt. Aber zu Hause, wenn sie beim Schreiben an ihrem Gartenbuch aus dem Fenster geblickt hatte, waren da nur die nackten Äste der Bäume gewesen, die starr in den tief hängenden, grauen Himmel ragten. Und auch die Amseln und Spatzen, die sich sonst aufgeregt vor ihrem Fenster um ein paar Krümel stritten, waren verschwunden. Die Welt war grau und trostlos geworden.
Jana wurde bei diesem wochenlang andauernden, öden Anblick von einer bleiernen Schwere befallen, die sie zu Boden drückte und die sie nicht abzuschütteln vermochte.
Die Freunde, allen voran Juli, hatten gefragt, was mit ihr los sei, sie sei ganz anders als sonst. Aber sie wusste es auch nicht. Sie war nicht mehr die muntere, sprudelnde Jana, die sich voller Zuversicht in neue Aufgaben stürzte. Nichts konnte sie derzeit froh machen, nicht mal ihre bevorstehende Hochzeit.
Dabei war Jay der Mann ihrer Träume – und das, obwohl sie, als sie ihn traf, gar keine Träume mehr in Bezug auf Männer gehabt hatte. Sie erinnerte sich daran, wie sie sich kennengelernt hatten, als letztes Jahr in ihrem Büro eine Frau ermordet worden war, und wie sie den Fall gemeinsam aufgeklärt hatten. Wie er um sie geworben hatte, bis sie Vertrauen zu ihm gefasst hatte, und sie ein Paar wurden.
Sie hatten wunderbare Wochenenden am Chiemsee, südöstlich von München, auf seiner kleinen Jacht "Mahalo" verbracht – ausgelassene Tage und leidenschaftliche Nächte. Sicher, sie hatten auch mal eine Krise gehabt, aber die hatten sie überwunden und schließlich hatte er sie mit einem Heiratsantrag überrascht.
Aber statt sich, nachdem sie ja gesagt hatte, auf ihre Hochzeit zu freuen, hatte Jana sich von Tag zu Tag trostloser gefühlt - es war, als legte sich mit dem Herbstnebel und den Wolken auch eine dicke, graue Decke über ihre Seele. Wenn sie unter Menschen war, konnte sie ihre Schwermut einigermaßen verbergen, doch sie zog sich zunehmend zurück.
Wäre es bei der Winterdepression allein geblieben, dann hätte sie nicht fliehen können, sondern wäre wie gelähmt verharrt. Aber die Depression hatte sie wehrlos gemacht. Und als die alten Ängste während der letzten Tage vor der Hochzeit wieder hervorgekrochen kamen, mit böse züngelnden Stimmen, hatte sie keine Kraft zur Verteidigung ihrer Liebe gehabt. Schon einmal hatte sich jemand nach einiger Zeit entliebt, die glühenden Augen waren plötzlich erloschen und dann hatte sie ihn mit einer anderen im Bett gefunden. Und plötzlich war sie sich sicher gewesen, dass ihr dies immer wieder passieren würde. Irgendwann würde auch Jay sie fallen lassen und sie würde tiefer fallen, als jemals zuvor, tiefer als sie ertragen konnte.
Flieh, hatten die Stimmen ihr zugerufen. Flieh, bevor das Unerträgliche geschieht.
Die Angst in ihr hatte sich in der Nacht vor der Hochzeit zur Panik gesteigert und ihr Herz umklammert. Sie war stundenlang in ihrer Wohnung umhergelaufen. Morgens um fünf Uhr hatte sie schließlich ein paar Sachen, den Pass mit dem unbegrenzten USA-Visum und ihr Notebook gepackt und sich von einem Taxi zum Flughafen fahren lassen. Sie musste die Kontrolle über ihr Leben zurückholen, es gab keinen anderen Ausweg, es war besser, es gleich zu beenden.
So war sie gegangen, bevor Jay sie verlassen konnte.
Ihre Entscheidung hatte sich im ersten Moment wie eine Erleichterung angefühlt, als sei die Flucht das einzig Richtige, was sie tun konnte, was sie tun musste. Doch bald waren die Tränen gekommen, die sie auf dem Flug nach New York und danach von New York nach Los Angeles hinter ihrer Schlafbrille versteckte.
Die gestrige Nacht hatte sie dann schlaflos in einem Hotel verbracht, das sie sich am Flughafen von L.A. von einer Anzeigentafel ausgesucht hatte. Sie war auf dem Bett gelegen und hatte an die Decke gestarrt, an der einige von vorherigen Gästen zerquetschte Mücken klebten. Die ersten Zweifel waren aufgetaucht, doch sie hatte sie verdrängt, immer wieder, denn sie war nach wie vor in ihrem verrückten Gedankengang gefangen, der ihr sagte, dass sie das Richtige getan hatte, und dass die Zeit die Wunden heilen würde – seine und ihre.
Auf der letzten Etappe, dem Flug von Los Angeles nach Honolulu, hatte sie dank Jennys Geplapper für eine kurze Zeit etwas freier atmen können. Doch dann, als Jenny still war, würgte es sie bei dem Gedanken, wie sich Jay gefühlt haben musste, als er vor dem Standesamt auf sie gewartet hatte.
Wie hatte sie sich nur in diese Irrwitzigkeit fallen lassen können, fragte sie sich. Wie hatte sie die Welt nur so verrückt wahrnehmen können? Wenn sie je eine Chance auf ein glückliches Liebesleben gehabt hatte, dann doch mit Jay. Und diese Chance hatte sie vertan.
Sie unterdrückte die aufsteigenden Tränen und schaute wieder auf die Uhr. 10.40 Uhr. Sie musste Jay auf jeden Fall anrufen. Sie konnte es nicht wieder gut machen, aber sie konnte wenigstens Anstand zeigen, jetzt wo sie wieder klar im Kopf war. Es tat ihr so unendlich leid, was sie ihm angetan hatte. Das hatte er nicht verdient – er, der seine erste Frau bei einem Polizeieinsatz verloren hatte und den sie nie hatte verletzen wollen.
"Aloha, meine Damen und Herren", unterbrach eine Durchsage des Kapitäns ihre Gedanken. "Leider haben wir noch keine Landeerlaubnis. Aber die gute Nachricht ist: Sie erhalten einen kostenlosen Rundflug über Oahu und die Hauptstadt Honolulu und die Sicht ist bestens."
Noch länger tatenlos in diesen Sitz gepfercht sein, dachte Jana und krallte die Hände ineinander.
Als sich das Flugzeug erneut in eine Kurve legte, blickte sie aus dem Fenster, sah die unendlichen Weiten des Pazifischen Ozeans und dann plötzlich jadegrün und türkis schillernd die Ostküste von Oahu - steile, von der Witterung durchfurchte, üppig bewachsene Hänge, die Spitzen in schwere Wolken gehüllt. King-Kong-Land, dachte Jana unwillkürlich und ließ sich für einen kurzen Augenblick verzaubern.
Sie lehnte ihren Kopf an das kühle Fenster. Hawaii ist die am weitesten von irgendeinem Festland entfernte Inselgruppe, erinnerte sie sich. Doch eigentlich wusste sie bereits aus Erfahrung, egal wie weit sie reiste, vor sich selbst konnte sie nicht davon laufen. Wieso fiel sie nur immer wieder auf diese Illusion herein.
Das Flugzeug kreiste wieder und wieder um die Inseln im Pazifischen Ozean und immer wieder vertröstete der Kapitän die Passagiere. Es schien kein Ende zu nehmen.
Jana sah tausend Mal auf die Uhr. Sie wollte raus, wollte Jay anrufen, wollte sich entschuldigen.
Irgendwann war es kurz vor ein Uhr hawaiianischer Zeit und sie kreisten immer noch.
Schon zwei Stunden Verspätung, seufzte Jana.
Die Passagiere waren inzwischen unruhig geworden, kaum jemand war noch auf dem eigenen Platz. Einige streuten Gerüchte, dass irgendetwas mit dem Fahrwerk nicht in Ordnung sei und man sie nun kreisen ließ, bis das Kerosin aus war – wegen der Notlandung. Andere vermuteten, dass irgendjemand mit einer Seuchenkrankheit an Board war und unten Quarantäne-Maßnahmen eingeleitet wurden. Doch dann zerstreute der Kapitän alle Sorgen und sagte, dass nur ein defektes Flughafenfahrzeug die Landebahn blockiert hatte, aber nun beiseite geräumt worden war.
Alle atmeten auf.
Jana schnallte sich ihre Bauchtasche um, in der sie Pass, Geld, Reiseticket und in einer Seitentasche ihre Lieblingsohrringe gesteckt hatte. Ihre Uhr zeigte 13.03 Uhr. Das Flugzeug sank schnell und Jana spürte den Druck im Kopf und den Ohren.
Jetzt wachte auch Jenny auf und hielt sich den verkaterten Kopf; als das nichts half, holte sie ihre Kopfhörer mit den rosa Plüschhäschenohren hervor und setzte sie auf.
Die anderen Passagiere brabbelten aufgeregt miteinander in ihren Sitzen, gleich waren sie am Ziel und würden entweder von Verwandten, der Reisegesellschaft oder von Hotelpersonal mit Blumenkränzen und Aloha begrüßt werden. Einige hatten ihr Handgepäck bereits griffbereit auf dem Schoß, um gleich nach der Landung hinausstürzen zu können.
Jana sah zu Jenny hinüber und bemerkte, dass sie sich den Magen hielt, anscheinend war der letzte Schluck Margarita nicht so gut gewesen.
"Alles in Ordnung?", fragte Jana. Aber das rosa Plüschhäschen krümmte sich nach vorne und griff im letzten Moment nach dem Kotzbeutel, bevor es sich übergab. Hier war wohl noch jemand, die ihr Leben wieder in den Griff kriegen musste, dachte Jana und reichte ihr eine Serviette.
13.05 Uhr. Niemand war vorbereitet, als plötzlich ein Knall das Flugzeug erschütterte und sich das Fluggeräusch abrupt änderte. Jana drehte sich mit vor Schreck geweiteten Augen um und sah von den hintersten Reihen schwarzen Rauch nach vorne kriechen. Im nächsten Moment schoss das Flugzeug wie eine Rakete nach unten und sie wurde so hart in den Sitz gepresst, dass ihr die Luft wegblieb. Sie hatte keine Zeit zu überlegen, was eben passiert war und was noch passieren würde. Etwas traf sie am Kopf, und schon bevor eine zweite Detonation das Flugzeug auseinanderbrechen ließ und die einzelnen Teile wie Torpedos in den Pazifischen Ozean schossen, hatte Jana das Bewusstsein verloren.


Jürgen "Jay" Bergmeister schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. 22 Uhr. Vor 35 Stunden hatten er und Jana einen Termin vor dem Standesbeamten gehabt. Doch Jana war nicht gekommen.
Sie hatten eine stille Eheschließung verabredet, nur sie beide, der Standesbeamte und zwei anonyme Trauzeugen. Es sollte ihrer beider Tag alleine sein, mit Freunden und Verwandten wollten sie erst später groß und laut feiern.
Als er da alleine auf dem regennassen Kopfsteinpflaster vor dem Freisinger Standesamt gewartet hatte und Jana nicht, wie verabredet, um 10.50 Uhr aufgetaucht war, hatte ihn das nicht weiter beunruhigt. Sie wird sich mal wieder nicht entscheiden können, welche Ohrringe sie tragen will, hatte er gedacht. Er hätte sich vielleicht doch nicht überreden lassen sollen, dass sie sich erst vor dem Standesamt trafen. Aber Jana hatte darauf bestanden. Sie wolle diese Symbolik, dass jeder von ihnen alleine zu dem Punkt kommt, von wo ab sie ein gemeinsames Leben begännen. Frauen, hatte er gedacht. Aber eigentlich war er froh, dass sie so war, wie sie eben war.
Als Jana um 11.05 Uhr immer noch nicht da war, begann er doch von einem Fuß auf den anderen zu treten. Die Standesamtssekretärin hatte schon mehrmals herausgeschaut und ihn an den Termin erinnert – als wenn er ihn vergessen könnte. Waren ihre Blicke am Anfang noch aufmunternd gewesen, ab 11 Uhr zehn waren sie mitleidig geworden.
Um 11 Uhr zwanzig bat er die Dame, ihn in ihrem Büro telefonieren zu lassen. Er wählte Janas Nummer im alten grünen Haus, wo sie noch mit ihren beiden Mitwohnern lebte. Sie wollten erst nach den Flitterwochen eine Wohnung suchen und zusammenziehen.
Jay ließ es läuten, aber niemand hob ab. Dass Janas Mitbewohner Paul und Hannes nicht da waren, wusste er. Aber dass Jana nicht abhob, konnte für ihn nur eines bedeuten: Sie war gerade auf dem Weg hierher.
"Sie wird gleich hier sein", sagte er zu der Standesamtssekretärin, die nun darauf bestand, dass jetzt erst ein anderes Paar vorgezogen werden müsse. Er und seine Zukünftige müssten dann später noch irgendwie eingeschoben werden, falls sie noch kommen sollte. "Doch, doch, sie muss jede Minute eintreffen", sagte Jay.
Er hatte weiter gewartet – erst voller Zuversicht, dann etwas verwundert.
Um 12 Uhr war er mit seinem alten, dunkelblauen BMW zu Jana nach Hause gefahren, hatte die Straße während der Fahrt links und rechts mit den Augen nach ihr abgesucht, während die Scheibenwischer den kalten Nieselregen beiseiteschoben. Keine Spur von Jana.
Schließlich rollte er in die Einfahrt des alten, grünen Hauses. Die nassen Kiesel quietschten unter den Reifen.
Als er aus seinem Wagen stieg, war seine Stimmung nicht gut, aber er war auch nicht wirklich beunruhigt.
Er ging die Betontreppe hinauf, die jetzt im Winter vor allem alt wirkte; der Charme, den Janas Kübelpflanzen ihr im Sommer verlieh, war jetzt nicht einmal zu erahnen.
Die äußere Haustür war nicht verschlossen. Er ging in den Flur und klopfte an Janas Wohnungstür. Keine Antwort. Er drückte die Klinke. Die Tür ließ sich öffnen.
"Jana?" Jay betrat die Wohnung. "Jana?"
Keine Antwort. Alles sah aus wie gewohnt, in der Küche quollen Schraubgläser mit Nudeln, Reis und Kräutern aus den Regalen, in der Spüle standen einige bunte Tassen mit Kaffeeresten. Den getigerten, langhaarigen Kater sah er durch das Fenster draußen im Garten mit eingezogenem Bauch durch das nasse Herbstgras schleichen, wobei er bei jedem Schritt versuchte, die Wassertropfen von seinen Pfoten abzuschütteln.
Er ging durch die Küche und schaute von dort aus ins angrenzende Wohnzimmer. Es wirkte irgendwie aufgeräumter als sonst.
Dann fiel Jay auf, dass Janas Notebook nicht an seinem Platz auf dem zum Schreibtisch umfunktionierten Biergartentisch stand und mit einem Schlag hatte er ein flaues Gefühl im Magen.
Bestimmt war das Notebook in Reparatur, suchte er nach möglichen Erklärungen. Sie hatte doch kürzlich gesagt, dass sie sich den Arbeitsspeicher aufmotzen lassen wollte.
Trotzdem ging er zurück in den Flur und von da aus hinauf in den ersten Stock, wo sich das Gemeinschaftsbadezimmer befand, das sie sich mit ihren beiden Mitbewohnern, die unten auf der anderen Seite des Flurs wohnten, teilte. Janas Zahnputzbecher war leer.

Jay war nach Hause nach Unterschleißheim, ein Ort vor den Toren Münchens, gefahren. Zuerst hatte er sich wie betäubt gefühlt. Er sah nicht die Kisten, die überall halb gepackt herumstanden, weil er und Jana demnächst zusammenziehen wollten – vor der Hochzeit war nicht mehr die Zeit gewesen, ihre Wohnsituation neu zu ordnen, der letzte Fall hatte sein Privatleben gefressen.
Dann nach einiger Zeit schlug seine Stimmung in wütende Hilflosigkeit um. Wie hatte sie das tun können? Warum hatte sie nicht mit ihm geredet, statt ihn einfach stehen zu lassen und zu verschwinden?
Seine Gedanken drehten sich im Kreis, Stunde um Stunde. Kurz nach vier Uhr nachts schlief er ein.
Als Jay ein paar Stunden später aufwachte, fühlte er sich elend aber auch ruhiger. So etwas Schlimmes war ja schließlich nicht passiert. Gut, Jana hatte ihn am Tag ihrer Hochzeit versetzt, aber er kannte doch ihre Wunden. Vielleicht hätte er sie nicht drängen sollen, schnell zu heiraten.
Aber wenn das alles war, würden sie das schon wieder hinbekommen.
Den Sonntag verbrachte er neben dem Telefon und wartete auf Janas Anruf. Es würde ihr leidtun, bestimmt, sie musste sich in einer inneren Notlage befunden haben und würde ihm sicher alles erklären. Er würde es ihr nicht schwer machen.
Doch die Stunden vergingen und von Jana kam kein Lebenszeichen.
Es war Montag geworden und er hatte sich in die Arbeit gequält. Seine Kollegen von der Kripo Erding wussten nicht, warum sein Gesicht so weiß und zerknittert wie sein ungebügeltes T-Shirt war und warum er so unwirsch reagierte, wenn ihn jemand ansprach – sie wussten nur, man ließ ihn am besten in Ruhe, wenn er in so einer Stimmung war, was selten genug vorkam.
Seiner Kollegin Vera waren seine Vorbereitungen trotz der Geheimhaltung der Hochzeit nicht verborgen geblieben und sie kam mit einem roten Papierhut auf dem Kopf und einer Flasche Schampus in der Hand in sein Büro geschossen, um ihm zu gratulieren. Doch als sie ihn sah, mit tiefen Schatten unter den Augen und dem verwundeten Blick, blieben ihr die Worte im Hals stecken und sie riss sich den Hut vom Kopf und versteckte den Schampus hinter dem Rücken. Sie versuchte, ein Gespräch anzufangen, aber er sagte, er müsse einige wichtige Berichte fertigbekommen, die er schon seit Wochen vor sich hergeschoben hatte.
Als Vera hinausging, beugte er sich zwar über die Unterlagen vor ihm, doch seine Gedanken waren bei Jana. Langsam kroch ihm die Angst den Nacken hoch, dass Jana doch eine weiterreichende Entscheidung gefällt hatte, als er zunächst vermutet hatte. Und dass sie diese Entscheidung ohne ihn getroffen hatte.
Am Abend zu Hause zog er die Joggingschuhe an und lief zwei Stunden im Dunkeln über nasse Feldwege und durch schlecht beleuchtete Wohngegenden. Doch er konnte das Gefühl des Bangens nicht aus sich heraustreten.
Als er wieder zu Hause war, sich umgezogen und geduscht hatte, legte er sich auf die Couch. Wenn er die Augen schloss, sah er Janas grüne Augen vor sich, die voller Liebe für ihn waren. Das war doch erst vor ein paar Tagen gewesen, als sie ihn so angesehen hatte, sagte er sich. Oder vor ein paar Wochen? So genau wusste er es nicht. Aber das spielte doch keine Rolle. Sie waren doch zusammengewachsen, langsam und stetig. Das konnte jetzt nicht das Ende sein, das musste sich einfach aufklären.
Aber er wusste, er konnte jetzt gar nichts tun, nur warten, dass sie sich endlich meldete.
Er versuchte, sich auf ein Buch zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Schließlich schaltete er den Fernseher ein. Er zwang sich, seine Augen an den Bildschirm zu heften und versuchte, sich auf die Worte des Talkmasters zu konzentrieren.
Es wird alles gut werden, sagte er sich zum hundertsten Mal. Jana würde anrufen und sie würden das gemeinsam wieder in Ordnung bringen.
Die Talkshow näherte sich dem Ende, Jays Lider waren jetzt schwer und immer wieder fielen ihm die Augen zu.
Als die Spätnachrichten über einen Flugzeugabsturz vor der Hawaii-Insel Oahu berichteten, schlief Jay bereits einen unruhigen, erschöpften Schlaf.

Es war kurz nach drei Uhr nachmittags und die Sonne brannte sich in die frische, rote Bootsfarbe der "Tropical Sunset", einer uralten Segeljacht, die vor der Nordküste Oahus dümpelte. Frische, rote Farbe gab es allerdings nur auf einem kleinen Stück vorne an Deck, denn Tom, the Dooley, und Bill, the Roadkill, wie sich die beiden seit der ersten gemeinsamen Kifferrunde nannten, hatte die Lust am Bootstreichen gleich wieder verlassen. Der Rest des Bootes war also nach wie vor hellblau, jedenfalls da, wo die Farbe noch nicht abgeplätzt war und das darunterliegende rohe Holz freigab.
Nach ihrem kurzen Anfall von Aktivität, ausgelöst von einem Musikvideo mit einer sich auf einem roten Auto rekelnden Blondine, hatten sie beschlossen, in Ruhe auf dem Meer einen durchzuziehen. Auf die Art mussten sie die letzten Krümel Marihuana nicht mit Sandy, ihrer Mitbewohnerin und Vermieterin teilen. Die war sowieso schon seit Mittag high – vom Rum-Angebot der Woche, den sie im Foodland-Supermarkt vom letzten Haushaltsgeld gekauft hatte.
Tom und Bill dösten an Deck, während das Boot mit heruntergelassenen Segeln in den Wellen schwappte. Sie hatten von dem Flugzeugabsturz vor zwei Stunden nichts mitbekommen, denn mit Nachrichten hatten sie nichts am Hut. Wozu sich mit etwas belasten, was man nicht ändern konnte? Ihnen war zwar das Treiben am Hafen in Haleiwa aufgefallen, aber sie hatten gedacht, dass irgendjemand irgendwo den ersten Buckelwal der Wintersaison gesehen hatte und nun wollten alle raus, um das verschreckte Tier zu beobachten.
Tom und Bill waren in die andere Richtung als die anderen davon getuckert, schließlich brauchten sie beim Kiffen keine Zuschauer. Zum Segelhochziehen hatten sie keine Lust gehabt und so waren sie mit dem Hilfsmotor ein paar Hundert Meter parallel zur Küste gefahren und dann aufs offene Meer hinaus.
Das Meer war an diesem Tag sanft - die berühmten Riesenwellen an der Nordküste von Oahu gab es nur, wenn Stürme im Pazifik wüteten oder ein Beben das Meer in Bewegung setzte. Die Jahreszeit für die Stürme war zwar bereits da, doch im Moment war alles ruhig. Wegen dieser Tatsache waren nicht nur die zahlreichen Freizeitsurfer, die wie jedes Jahr zu dieser Jahreszeit aus aller Welt kamen und wie die Heuschrecken in Hawaii einfielen, beunruhigt, sondern auch die Profis. Der Triple Crown of Surfing, die drei wichtigsten Wettkämpfe der weltbesten Wellenreiter, musste seit Tagen pausieren, weil die North Shore das Temperament eines abgestandenen Bieres hatte.
Diese Wellenverhältnisse hielten sogar Tom davon ab, zu surfen, obwohl er sich sehr gerne ölglänzend in Badehose auf seinem Surfboard präsentierte. Aber er wusste, er würde lächerlich aussehen, wenn er mit seinem coolen, roten Board mit dem aufgesprayten Tiger darauf und seinem gefetteten, schwarzen Pferdeschwanz in dieses Badewannenwasser ging. Bill dagegen war froh, diese Ausrede zu haben; er benutzte sein Brett, das er täglich über Nacht ins Schlafzimmer holte und jeden Morgen vor das Haus stellte, sowieso nur noch dazu, sich selbst vorzumachen, er sei hier zum Surfen und nicht etwa, um sich zu bekiffen oder zu besaufen und damit sich selbst aus dem Weg zu gehen.
Jedenfalls war heute definitiv "Surf not up" und Tom und Bill lagen zugedröhnt auf dem Bootsdeck.
Tom fühlte sich schwer und warm unter der tropischen Sonne, er war froh, die Augen nicht öffnen zu müssen. Trotz seines wattigen Dämmerzustandes wurde ihm plötzlich bewusst, dass sich die Geräusche um ihn geändert hatten. Da war neben dem üblichen Schwappen jetzt so ein merkwürdiges Schaben außen am Bootsrumpf. Er versuchte, das Geräusch aus seinem Bewusstsein zu verdrängen, aber es schob sich immer wieder nach vorn.
"Bill?" Tom hob den Kopf zwei Millimeter an. "Hörst du das?"
Bill antwortete nicht, seine strähnigen blonden Haare lagen ihm quer über das Gesicht.
"Hey!" Tom rollte sich auf die Seite und schob sich ein wenig hoch. Er versetzte Bill einen leichten Stoß mit dem Fuß in das Fett, das seitlich über dem Gummizug seiner orangeschwarzen Bermudashorts quoll.
"Ey, was ist denn?" Bill rutschte von dem nervenden Fuß weg.
Doch Tom gab keine Ruhe. "Hör mal. Da ist was außen am Boot."
Bill drehte sich auf die Seite. "Wen juckt das. Ist doch scheißegal."
"Hm." Eigentlich war es Tom auch egal, doch das Schaben kratzte durch seine träge Zufriedenheit. Schließlich quälte er sich in Richtung des nervenden Geräusches und schaute über den Rand des Bootes.
Was er da sah, ließ ihn dann wach werden.
"Bill, da treibt lauter Gerümpel und eine blonde Frau neben dem Boot. Sie hat Blut am Kopf und so ein aufblasbares Kissen um den Hals."
"Ist sie heiß?" Bill blieb liegen und bohrte mit dem Finger in seinem Bauchnabel.
"Häh? Sie hat die Augen zu. Vielleicht ist sie tot!"
"Ey ah. Also gar nicht heiß."
"Hey, wir können sie nicht im Wasser lassen. Wir müssen sie mitnehmen."
"Und dann? Willst du etwa stoned zur Polizei gehen und ne Leiche abgeben?"
"Aber vielleicht ist sie ja gar nicht tot."
"Mann bist du zu, wenn du nicht mal ne Tote von einer Lebenden unterscheiden kannst."
"Aber du! Los, hilf mir. Wir hieven sie an Bord."
Bill rührte sich nicht.
"Hey, du aufgedunsene Ratte, jetzt krieg endlich deinen Arsch hoch", schrie Tom. "Oder muss ich dich erst in die Eier treten?"
Bill richtete sich mit müdem Gesicht auf und kroch grunzend zum Bootsrand.
"Geh du ins Wasser", sagte er zu Tom. "Ich helfe dir von hier oben."
Doch Tom gab ihm einen Stoß und Bill fiel über den Rand, der hier beim Treppenaufgang ohne Reling und Sicherheitsleine war, direkt auf den treibenden Frauenkörper. Bill und der Frauenkörper verschwanden zusammen unter der Wasseroberfläche.
Als Bill wieder an die Oberfläche kam, hustete er das verschluckte Wasser aus. "Du blöder Dreckskerl", fluchte er. "Jetzt bin ich wieder klar und der schöne Stoff war für n Arsch."
"Dann schau jetzt nach, ob die Frau noch lebt."
Bill befingerte die leblos treibende Frau. "Sie sieht gar nicht so schlecht aus."
"Hör auf sie zu begrapschen, sondern schau, ob sie noch lebt."
"Sie fühlt sich warm an."
"Das Wasser ist warm, Mann. Tote werden nur so kalt, wie es um sie herum ist."
"Dann weiß ich auch nicht. Vielleicht sollte ich sie mal länger untertauchen. Dann wird sie schon aufwachen, wenn sie noch lebt."
"Nein, du Blödmann, schieb sie hier 'rüber zur Leiter, dann heben wir sie zusammen ins Boot."
"Und dann?"
"Dann wird uns schon was einfallen, was man mit so einer angetriebenen Blondine tun kann!"


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Kapitel 2
Seit heute Vormittag schneite es dicke Flocken und die weiche, weiße Decke verbarg das trübe Grau des Spätherbstes und hüllte die Welt in Stille.
Der Chiemsee lag bleigrau zu den Füßen der Alpen. Wie eine Versammlung von stummen Riesen standen die Berge im Süden hinter dem See und sahen auf die Welt hinab.
Die zwei Männer, die am Nordufer durch den Schnee stapften, konnten äußerlich verschiedener nicht sein, obwohl sie beide Kriminalhauptkommissare der bayerischen Kripo waren.
Melzer von der Kripo Rosenheim fiel auch heute wieder durch seinen ungewöhnlichen Stil, sich zu kleiden, auf, er hatte seine Leibesfülle in einen hellen, flokatiteppichartigen Mantel gepackt, der ihm vom Kinn bis zu den Knöcheln reichte und ihn von Weitem wie einen gut genährten Eisbären aussehen ließ. Seine Wangen leuchteten rosig zwischen Mantel und Fellmütze hervor.
"Schon was Neues von Jana?", fragte Melzer den Mann neben sich.
Jürgen "Jay" Bergmeisters wirkte neben Melzer wie ein Ökotourist. Er hatte wie jeden Winter seit zwanzig Jahren seinen alten Parka aus dem Keller geholt, weil er immer wieder vergaß, sich rechtzeitig eine neue Winterjacke zu kaufen. Melzer hatte sich beim Wiedersehen erschrocken, wie blass und abgemagert Jay aussah, der sich außerdem seit mindestens fünf Tagen nicht rasiert hatte.
Die Spuren der beiden Männer waren die einzigen Fußstapfen im frischen Schnee, sonst gab es nur die feinen Abdrücke einiger Eichhörnchen und Vögel, von denen keiner Melzers Augen entging – sein Vergnügen, Spuren nachzugehen und zu deuten, hatte ihn zur Kriminalpolizei gebracht.
"Nein, nichts", antworte Jay auf Melzers Frage, ohne den Blick vom Boden zu heben. "Zwei Wochen lang kein Lebenszeichen, keine Aussprache, gar nichts."
"Hm", brummte Melzer unter seiner Fellmütze mit den eingearbeiteten Ohrenschützern. Oben auf der Mütze hatte sich der Schnee wie zu einem weißen Dach getürmt. "Jana neigt ab und an mal dazu, auszuflippen, wie wir beide wissen, aber so lange braucht sie sonst nicht, um wieder auf den Teppich zu kommen."
Melzer kannte Jay schon länger von Fortbildungen der oberbayrischen Kripo, Jana hatte er erst vor ein paar Monaten kennengelernt, als sie und Jay ein totes Mädchen im Chiemsee gefunden hatten, Melzer war der ermittelnde Kommissar gewesen.
"Was ich nicht verstehe", sagte Jay, "Jana ist in allem eine entschlossene Kämpferin, ist so hartnäckig, gibt nicht auf. Denk nur an die Ermittlungen wegen des toten Mädchens. Aber wenn es um Liebe geht, tritt sie die Flucht an."
Melzer erinnerte sich nur zu gut an Janas Ermittlungen, sie hatte seine Nerven zum Flattern gebracht und das sollte schon was heißen. Doch am Ende hatten die Ermittlungen von Jana, Jay und Melzer zur Aufdeckung eines Menschenhändlerrings geführt und die Drei waren gute Freunde geworden.
"Hat sie nicht vor Kurzem sogar einen Selbstverteidigungskurs gemacht, damit sie für das nächste Mal besser vorbereitet ist?", fragte Melzer mit Schaudern.
"Ja, hat sie. Und sie hat den Kurs sogar wiederholt, damit ihr die Abläufe wirklich in Fleisch und Blut übergehen."
"Ich hoffe trotzdem, dass ich das nächste Mal nichts mit ihren Ermittlungen zu tun habe, so wie sie sich selbst immer wieder in Gefahr bringt. Das ist nichts für meine Nerven."
"Kann ich verstehen." Jay musste grinsen.
"Und du meinst, ihr Verschwinden vor der Hochzeit war eine Art Panikreaktion?" Melzer schlug seine Hände gegeneinander, um sie aufzuwärmen.
"Ja. Ich hab nachgedacht, sie wirkte tatsächlich in den letzten Wochen niedergeschlagen. So, als liefe sie nur auf Sparflamme. Ich hab sie gefragt, was los ist und sie sagte, es sei nichts Wichtiges. Sie komme nur mit ihrem Buch nicht recht voran. Es hat mich, ehrlich gesagt, nicht wirklich beunruhigt. Ich hatte da diesen Mordfall …"
"Haben wir nicht immer irgendeinen Mordfall?"
"Ja, du hast recht. Scheiße. Ich hätte mir die Zeit nehmen sollen."
"Ich wollte dir nicht die Schuld geben, Jay. Sie hätte was sagen können. Sie findet ja sonst auch Mittel und Wege, sich durchzusetzen." Melzer klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. "Und jetzt wo sie den Selbstverteidigungskurs gemacht hat, hättest du ja auch gar keine Chance mehr gegen sie, wenn sie sich durchsetzen will."
"Jedenfalls glaube ich, sie hat einfach wieder Angst gekriegt. So, wie damals, als ich sie kennenlernte, da wollte sie ja auch keinen Mann an sich heranlassen." Jay presste die Lippen aufeinander. Er hatte gedacht, Jana hätte seitdem gelernt, ihm zu vertrauen.
Melzer schwieg. Er hatte keine beschwichtigenden Worte. Es war so, wie es war.
"Jetzt im Nachhinein finde ich es auch merkwürdig, dass sie nicht mal ihren Eltern was von der bevorstehenden Hochzeit gesagt hat", fuhr Jay fort.
Melzer schwieg. Er wusste, dass man als Kriminalbeamter in seinem Privatleben manchmal verflucht langsam schaltete.
Die beiden Männer stapften weiter durch den Schnee. Schilf und Gehölze stakten links und rechts von ihnen durch die weiße Decke, gaben auf der Wasserseite immer wieder den weiten Blick über den See frei. Die Villen auf der anderen Seite des Fußweges standen fast alle leer, sie wurden nur in der warmen Jahreszeit bewohnt, wenn die Sommergäste den Chiemgau überschwemmten.
"Ich werde sie suchen", sagte Jay nach einiger Zeit wortlosen Dahinschreitens.
Melzer beugte sich vor, um die Tierspuren vor ihnen im Schnee besser sehen zu können. "Und wenn sie nicht gefunden werden will?"
"Das Risiko gehe ich ein", sagte Jay. "Weißt du, ich dachte zuerst, sie brauche Zeit, sich zu besinnen. Deshalb habe ich stillgehalten und einfach nur gewartet."
Melzer richtete sich auf. "Hört sich ja auch vernünftig an."
"Ja, aber wann ist Jana schon mal vernünftig. Und vielleicht quält sie sich wegen ihres Verhaltens und denkt, es gäbe kein Zurück mehr."
"Hm." Melzer blickte Jay ernst an. "Gibt es das denn?"
Jay blinzelte wie geblendet und schaute dann über den See, aber der Blick zu den Bergen wurde jetzt vom dichten Schneetreiben verhüllt und verlor sich im Nichts. Er zuckte mit dem Schultern.
"Gibt es das denn jemals wirklich?"
"Jay, ich hab auch berufliche Gründe, warum ich dich treffen wollte", sagte Melzer, als sie weitergingen. Er überlegte, wie er den Köder am geschicktesten auswerfen konnte. "Hat mit meinen Ermittlungen bezüglich des Dealermords in Rosenheim zu tun."
"Ich erinnere mich dunkel. Das war in der Oktoberfestzeit, oder? Wie hieß der Ermordete noch mal?" Jay strich sich den Schnee von den Haaren.
"Sein Name war Harald Blend. Die Drogenfahndung hatte ihn im Visier. Die Kollegen wollten aber auch die Hintermänner schnappen, deshalb hatten sie mit dem Zugriff noch gewartet."
"Doch dann wurde er ermordet. Ja, ich erinnere wieder. Jemand hatte ihm eine Pistole ans Genick gesetzt. Es war eine Hinrichtung."
"Ja. Die Art, wie der Mord ausgeübt wurde, könnte auf einen Profi deuten. Aber andererseits: Jeder, der mit der Jagd zu tun hat oder mit der Schlachtung von Tieren, hat das Wissen, wie man jemanden per Genickschuss tötet."
"Was dealte Blend denn? Cannabis, Koks, Heroin?"
"Als Letztes vor allem Koks. Er hatte vor ein paar Jahren ganz klein mit zwei Studenten angefangen, die Marihuana in einem kleinen Hafen bei Genua abholten und nach Bayern brachten. So finanzierten sie sich ihren eigenen Konsum."
"Lass mich raten: Und dann wurde er gierig?"
"Ja, sehr gierig. Aus Cannabis wurde Koks, er fütterte Kunden an und nahm sie nach und nach aus. Zum Schluss dealte er nicht mehr selbst, sondern managte Beschaffung, Personal und Vertrieb."
"Ich nehme an, die Einnahmen reichten dann wohl für etwas mehr als den Eigenkonsum."
"Ja, und Blend hat sein Liefergebiet im Laufe der Zeit bis nach Mittel- und Nordeuropa ausgeweitet. Aber auch das war ihm wohl nicht genug, denn er erpresste seine früheren Freunde aus den Anfangstagen, die inzwischen gut dotierte Jobs hatten, mit dem Drogenkonsum in ihrer Vergangenheit."
"Welch sympathischer Zeitgenosse der Mann doch war."
"Ja, Motive, ihn zu töten, hätten viele gehabt, dementsprechend vielen Fährten mussten wir nachgehen. Doch die Geschichte geht weiter: Wenige Tage nach der Ermordung von Blend ist hier am Chiemsee ein Mann ertrunken. Er fiel von Bord eines der Passagierdampfer, der Irmingard, und verschwand. Hunderte Menschen sahen das. Seine Leiche konnte jedoch nie gefunden werden."
"Und wo ist da der Zusammenhang?"
"Wart's ab. Sein Name war Richard Brown, ein amerikanischer Tourist - das dachten wir jedenfalls zuerst. Es gab zunächst keinerlei Anlass einen Zusammenhang zwischen der Hinrichtung des Dealers und dem Ertrinken von Richard Brown aus Kalifornien herzustellen. Die amerikanischen Behörden hatten uns Brown zunächst als unbescholtenen Familienvater und Vertreter für Kleinelektroartikel dargestellt. Er hat nie schwimmen gelernt, also hielten alle seinen Tod für einen Unfall."
"Ein Kalifornier, der nicht schwimmen kann?" Jay zog die Augenbrauen hoch.
"War auch mein erster Gedanke, aber er und seine Frau stammen ursprünglich aus Colorado", sagte Melzer. "Sie kamen erst vor ein paar Jahren nach Kalifornien. Jedenfalls wurde inzwischen in Los Angeles ein kolumbianischer Drogenring, oder ein Ableger davon, aufgedeckt und Browns Name tauchte auf. Stell dir vor: Richard Brown hat nicht nur die Kleinelektrofirma bei seinen Reisen repräsentiert, sondern auch dieses Drogenkartell."
"Interessante Kombination. Dafür gibt’s in der Betriebswirtschaftslehre bestimmt einen Fachausdruck."
"Genau. Und das Koks, das über Genua hierher zu Blend kam, stammte auch aus Kolumbien."
"Du denkst, dass es eine Verbindung zwischen dem toten Dealer und Richard Brown gab", stellte Jay fest.
Melzer verkniff sich ein Grinsen, als er sah, dass der Fisch den Köder ins Visier nahm. "Möglicherweise ja."
Jay strich sich über sein stoppeliges Kinn. "Blend hatte sich zu einem Mann in einer wichtigen Schlüsselposition entwickelt", dachte er laut. "Und die Drogenfahndung war ihm dicht auf den Fersen. Vielleicht hatten die Hintermänner davon Wind bekommen und hatten Angst, dass er plaudern könnte?"
"Genau, das ist auch meine Überlegung. Brown könnte der Mörder von Blend gewesen sein."
"Hm. Ziemlich weit hergeholt, aber auch nicht ganz unmöglich – wenn nicht auch Richard Brown tot wäre."
 Melzer bückte sich und nahm mit seinen rosigen Wurstfingern etwas Schnee auf, um ihn zu einem Schneeball zu formen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Jay und sah, dass er bereit zum Zuschnappen war.
"Ihr habt doch bestimmt mit Tauchern nach der Leiche von Brown gesucht, oder?", sagte Jay, auch wenn er die Antwort kannte.
"Klar. Jede Menge Taucher, aber nichts gefunden." Melzer warf den Schneeball gegen einen Baum.
"Kann er den See lebend verlassen haben?"
"Wir haben sein Bild in die Zeitung gesetzt, mit dem Aufruf an die Bevölkerung, dass sich jeder melden soll, der den Mann vor oder nach seinem Unfall gesehen hat.."
"Und?"
"Nichts. Es hat sich niemand gemeldet außer den Leuten, die mit ihm auf der Irmingard waren."
"Das ist merkwürdig. Was war mit seinem Gepäck? Oder seinem Hotel?"
"Nichts. Nada. Niente. Es war auch nirgendwo ein Wagen gemietet worden, zumindest nicht auf den Namen Richard Brown."
"Hm. Auch nicht gerade typisch für einen amerikanischen Touristen, dass man seine Spuren nicht zurückverfolgen kann."
"Eher schon für einen Auftragskiller." Melzer rieb sich seine Hände trocken und vergrub sie in den Taschen seines Mantels. Sie gingen weiter.
Jay hielt inne.
"Aber woher wusstet ihr überhaupt seinen Namen?"
"Er hatte sich einer Passagierin vorgestellt. Einer alleinerziehenden Mutter, die mit ihrer kleinen Tochter einen Ausflug machte. Die hatte sich kurz weggedreht, um der Tochter das Papier vom Eis zu lösen, das er dem Kind gekauft hatte."
"Sie hat also nicht gesehen, wie er über Bord ging? Ob er das Gleichgewicht verloren hat oder ob ihn jemand gestoßen hat?"
"Nein, keiner will gesehen haben, wie er über Bord ging. Die Frau hörte nur einen Schrei und als sie sich umdrehte, sah sie ihn im Wasser die Arme hochstrecken und dann ging er schon unter wie ein Stein. Mehr konnte sie dann auch nicht erkennen, weil das Schiff ja in voller Fahrt war."
"Das heißt, er hat erst sehr spät geschrien. Nicht, als er oben über die Reling ging, sondern erst kurz vor dem Aufprall aufs Wasser."
"Sie ist sich nicht mal sicher, ob er überhaupt geschrien hat, oder ob es jemand von den anderen Passagieren war, die dann ja in heller Aufregung waren."
"Aber er tauchte nie mehr auf?"
"Nein. Aber sein Pass trieb auf dem Wasser. Der war das Einzige, was von ihm gefunden wurde."
Jay kniff die Augen zusammen und blickte in den Himmel, dort wo er die Wintersonne hinter den Schneewolken vermutete. "Irgendwie praktisch. Hier ist mein Pass, ich bin jetzt tot."
"Genau das Richtige für einen Neuanfang, oder?"
Jay blieb stehen und drehte sich zu Melzer. "Und was genau willst du von mir, Melzer", grinste er den Eisbären an. "Du hast doch nicht gemeint, ich kriege es nicht mit, dass du mich irgendwohin manövrieren willst."
Melzer grinste zurück.
"Okay. Stimmt. Ich brauche dich. Ich kriege keine Mittel mehr und keine Leute. Der Staatsanwalt stellt sich quer. Sagt, das sei nicht Sache meiner Abteilung. Die Drogenfahndung solle hier weitermachen."
"Und was ist daran falsch?"
"Mann, die sind selbst unterbesetzt. Die mussten schon viel zu lange zuschauen, was da passiert."
"Na gut. Und was mach ich dabei?"
Melzer holte tief Luft. "Ich will den Unfall mit dir zusammen nachstellen. Dann schaun wir weiter."
Jay sah auf seine Fußspitzen im Schnee und vergrub seine Hände in den warmen Jackentaschen.
Chiemseetauchen im Dezember. Er zog die Augenbrauen hoch und seufzte. "Das hab ich befürchtet."


Joan war nur mit einem Handtuch bekleidet und stand mit entsetztem Gesicht und offenem Mund im Badezimmer, der Schrei war ihr im Halse stecken geblieben.
Als sie ein T-Shirt, das irgendjemand auf dem Boden in einer Pfütze liegen lassen hatte, vom Boden aufheben wollte, hatte sich darunter etwas dunkles Längliches bewegt.
Oh Gott, was war das? Schlangen gab es hier in Hawaii doch nicht und eine von den Riesenkakerlaken war es auch nicht - jeden Tag fing sie mindestens fünf von diesen fingerlangen Insekten mithilfe einer Schachtel und trug sie vor das Haus, wo sie die Tiere freiließ.
Joan schaute sich nach etwas um, mit dem sie das T-Shirt hochheben konnte, dabei behielt sie das nasse Bündel im Augenwinkel. Sie entdeckte einen Bügel in der Ecke auf der anderen Seite neben einem Haufen Dreckwäsche.
Joan schauderte. Wahrscheinlich war es der Bügel, mit dem sich Bill immer den Rücken kratzte, bevor er ins Bett ging, er hatte irgendeinen juckenden Ausschlag. Aber egal, sie war froh, ein Werkzeug gefunden zu haben.
Vorsichtig und mit spitzen Fingern nahm sie den Bügel und hob das schmutzig graue, nasse T-Shirt damit an. Und dann schrie sie doch.
...
 

Zielgruppe: LeserInnen von kurzweiliger, spannender Unterhaltung (Romantic Suspense, Lokalkrimis München und Oberbayern, Kalifornien, Hawaii und Bahamas)

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Pressekontakt:
Eva Schumann
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